Beziehung versus Erziehung
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Der liebevolle Umgang mit sich selbst und anderen ist das Schmieröl für lebendige, bereichernde Beziehungen auch und gerade mit Kindern.

Beziehung versus Erziehung

„Frau Müller, Sie haben ja zwei eigene Kinder beim Erwachsenwerden begleitet, haben jetzt zwei kleine Enkelkinder im Haus und sehr oft in Ihrem Leben mit Kleinkindern und Eltern gearbeitet. Was waren und sind Ihre pädagogischen Grundsätze?“

„Kinder sind kleine, vollkommene Menschen, denen es an Erfahrungen fehlt. Beim Machen dieser Erfahrungen begleite ich, viele werden durch mich ermöglicht. Ich zeige ihnen, wie ich es mache und schau mir an, wie sie es machen. Davon lernen beide Seiten. Ein wechselseitiger Prozess. Liebe, Respekt, Achtsamkeit sind die Zutaten von meiner Seite. Trotzdem gibt es ein Machtgefälle, das zu leugnen, wäre eine Lüge: Ich bin erwachsen, sie sind Kinder. Das verwische ich nicht, sondern benenne es in den jeweiligen Situationen konkret. Meint, es gibt Situationen, in denen bestimme ich. Ohne Wenn und Aber. Dafür gibt es Regeln. Die werden erklärt und gemeinsam immer wieder überprüft. Es sind nicht viele und sie verändern sich im Laufe der Entwicklung des Kindes. Beispiel: Überqueren der Straße an der Hand, in meinem Beisein, alleine. Das Belohnung-Strafe-System als Erziehungsmittel lehne ich ab. Ich freue mich mit dem Kind, wenn es etwas geschafft hat; ich ermutige es, es wieder zu versuchen, wenn es noch nicht klappt; ich erkläre Konsequenzen für Regelbruch (wie gesagt, es gibt eine überschaubare Anzahl von Regeln) und halte diese konsequent ein. Wenn ich Fehler mache, dann rede ich drüber und entschuldige mich. Und, und … ach, wir wollen hier doch kein Buch schreiben. Das Wichtigste ist: Kinder lernen durch Vorbild. Also liegt es an mir und an meiner Arbeit an und mit mir, was da gelehrt und gelernt wird.“

„Ein Beispiel vielleicht noch über eine Regel, die nicht zu den pragmatischen gehört wie das ÜberdieStraßegehen?“

„Na ja, wichtig war mir bei meinen Kindern: Wir lügen uns nicht an. Nicht weil Lügen an sich schlecht sei, sondern, weil es Vertrauen bricht und die Intelligenz des Gegenübers beleidigt. Zu lernen gilt: Es gibt nichts, aber auch gar nichts, über das man nicht reden könnte. Hartes Brot, auch für die Erwachsenen. Wir lügen und schummeln im Laufe des Alltags mehr, als ich je vermutet hätte. Und da wir Vorbilder sind, heißt das immer wieder reflektieren, dazu stehen, laut benennen, lernen es anders zu machen.“

„So wie Sie das formulieren, erscheint Erziehung als harte Arbeit, Frau Müller.“

„Nennen wir es nicht Erziehung, sondern Beziehung. Das Zusammenleben mit heranwachsenden Menschen. „Erziehung“ hat für mich immer den Geschmack von oben nach unten. Das widerspricht aber meinen Erfahrungen. Es ist ein beidseitiges Geben und Nehmen und gemeinsames Lernen und Wachsen. Und ja, es ist arbeitsintensiv. Auf der Erwachsenenseite vor allem Arbeit an sich selbst, auf der Kinderseite die Eroberung der Welt und das Erlernen des sozialverträglichen Umgangs mit den eigenen Affekten. Läuft irgendwas schief mit und bei dem Kind, dann muss ich zuerst bei mir schauen. Das Kind spiegelt mich und meine Art des Umgangs mit mir und ihm. Bleibe ich in kritischen Situationen bei mir, erledigen sich die meisten starren Erziehungskonzepte eh ganz von selbst. Eine sehr bereichernde Arbeit, ja. Ach, und vielleicht noch das: Perfektion gibt es nicht. Alles ist im Fluss, Fehler sind Lehrmeister und liebevoller Umgang mit sich selbst und anderen ist das Schmieröl für lebendige und freudvolle Beziehungen, auch mit den Kindern. Das lehren sie uns nämlich und sind voller Verständnis für den Mist, den wir da ab und an bauen.“


Regeln für die Regeln


  • So wenige wie möglich, so viele wie notwendig

  • Alle! Beteiligte müssen den Sinn einer Regel verstehen und nachvollziehen können.

  • Am besten stellt man die Regeln gemeinsam auf.

  • Die Regeln gelten für alle Beteiligten, es sei denn, die Ausnahmen wurden benannt, verstanden und akzeptiert.

  • Regeln leben durch eigenes Vorbild.

  • Die Konsequenzen für Regelbrüche sind offen, klar und gemeinsam beschlossen.

  • Regeln unterliegen keiner Willkür. Sie gelten nicht heute so und morgen so. Solange sie vereinbart sind, gelten sie.

  • Jeder hat jedoch jederzeit das Recht, eine Regel in Frage zu stellen. Dann wird gemeinsam ein neuer Konsens/eine neue Regel hergestellt.

  • Ein Regelbruch ist keine Infragestellung der Regel. Das sind zwei ganz unterschiedliche Ebenen.

  • Regeln sind kein Selbstzweck. Trotzdem geben sie, wie Rituale, dem (kleinen) Menschen Sicherheit, Struktur und schaffen Gemeinschaft. Wenn sie denn gemeinsam verstanden, erstellt und akzeptiert wurden.

  • Offene und ehrliche Kommunikation ist die Basis jedweder Regelei.

  • Regeln sind kein Machtinstrument. Werden sie als solches missbraucht, dann sind es keine Regeln mehr, sondern einseitig erlassene Vorschriften.

  • Regeln kann man brechen. Die Konsequenzen nimmt man dann eigenverantwortlich und gelassen in Kauf.
     




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