Irgendwie anders

Vielen bleibt es erspart, ein Leben mit Behinderung. Doch wen es betrifft, für den ändert sich sein Leben. Es gilt, alltägliche Hindernisse zu überwinden, die einem nicht Behinderten gar nicht auffallen. Gedanken zu mehr Umsicht und ein achtsames Leben.

Irgendwie anders

Ich habe Glück. Ich habe nur eine leichte Behinderung. Ich muss mein Leben (noch) nicht im Rollstuhl verbringen. Meine vier Tage im Rollstuhl waren mir genug. Dann das Laufen an Krücken. Der Gehstock. Das Leben neu lernen, umlernen. Der Gehstock muss weg. Ich bin erst 46 und auch ein bisschen eitel. Aber gerade da liegt das Problem. Ohne Gehstock sieht man mir meine Behinderung nicht an. Ich bewege mich halt etwas komisch. Und was nicht in der Norm ist, das erkennt man nicht an, macht Witze darüber, nimmt man nicht ernst. Und nun frage ich: wie viele Behinderte kennen das? Offen zustimmen werden bestimmt nur wenige, verhalten nicken einige, innerlich ja sagen bestimmt viele.

Nicht jedem sieht man seine Behinderung sofort an


Nun, so ein Verhalten anderer macht einen selbst nur stärker. Ich weiß, was ich wert bin, denn ich weiß, was ich trotz Einschränkungen schon alles geschafft habe. Und ich hoffe, dass andere mit Einschränkungen das genauso sehen.

Das Leben ist schon Herausforderung genug. Bei jeder Arztpraxis, die ich nicht kenne, darf ich nicht vergessen vorher zu fragen, in welchem Stock sie liegt oder, ob es einen Fahrstuhl gibt. Der Gang zum Amt ist oft beschwerlich, weil es eben keinen Fahrstuhl gibt. Bevor ich irgendein Zimmer erreiche, bin ich außer Atem, weil ich eine Art Sondersport hinter mir habe.

Wie behindertengerecht sind öffentliche Einrichtungen wirklich?


Eines meiner Beine funktioniert seit jungen Jahren nicht mehr richtig, ein Nerv am Rücken wurde verletzt. Dazu kommt von früher Jugend an eine deformierte Wirbelsäule, Morbus Scheuermann.

Seit einigen Jahren spüre ich die Folgen meiner 'Sollbruchstellen' im Körper: Arthrose im Rücken und den Gelenken. An schlechten Tagen ziehe ich mein Bein hinter mir her als würde es nicht zu mir gehören. Dann habe ich am nächsten Tag Muskelkater im anderen Bein.

Führt ein körperlicher 'Crash' zu einer neuen Lebenseinstellung?


Ich habe gelernt, Ausgleich zu schaffen, aber das ist anstrengend. Und erfordert Kreativität. Warum nicht statt des Gehstocks einen Besen nutzen. Der reicht aus, um das Gleichgewicht zu halten. Der Rest macht der Schwung vom Laufen. Beim Stehen verlagere ich das Gewicht wie beim Tanzen auf das gesunde Bein. Sieht leicht aus, aber nach einigen Minuten sehne ich mich nach einer Wand zum Anlehnen. Sieht lässig aus, was andere dann wieder für schlechtes Benehmen halten.

Lebensangst und Lebensmut


Als der Begriff Arthrose das erste mal fiel, dauerte es lange, ehe er bei mir ankam. Dann sah ich im Wartezimmer eines Arztes eine Frau mit Fingern, die von Arthrose ganz verzogen waren. Sie hatte sich beim Hecke-schneiden in die Hand geschnitten. Sie strahlte trotzdem sehr positiv im Großen und Ganzen. Während ich einerseits schockiert war, bewunderte ich diese Frau.

Inzwischen kenne ich viele solche Missgeschicke. Sie sind Alltag geworden. Aber an schlimmen Tagen sehe ich wieder die Frau mit den schiefen Händen vor mir. Dann weiß ich, wohin die Reise geht. Aber bis dahin will ich alles ausprobieren und machen, was geht. Und das ist mehr, als ich anfangs dachte. Obwohl ich nur mit Hilfen auf- und absteigen kann, zum Reiten brauche ich das Bein nicht.
Ich durfte nach dem Rollstuhl und den Krücken sogar noch einmal für kurze Zeit ins Wasser zurückkehren. Das jahrelange Training half mir dabei. Mein Bein schwang einfach mit. Schwimmen geht jetzt nicht mehr. Aber es war eine schöne Zeit. Ich bin froh über die Zeit, die ich hatte.

Achtsam leben lernen


Und ich denke, dass ist eine positive Seite bei einem Leben mit Einschränkung. Man nimmt nichts für selbstverständlich. Man lebt bewusster. Als ich nach den Tagen im Rollstuhl und den Krücken im Kinderschwimmbecken erste Schwimmbewegungen teste und es funktionierte, war ich glücklich wie ein kleines Kind. Als ich mich traute, wieder aufs Pferd zu steigen, und ich eine Runde ritt, war ich unendlich glücklich.

Diese Momente des Mutes und der Freude machen das Leben aus. Die Erinnerungen daran helfen über schlechte Tage hinweg. Der Mut, immer wieder Neues auszuprobieren, hilft das, was nicht mehr geht, loszulassen.

Ehrlich, das Problem, was fremde Leute über mich denken, ist dagegen mein geringstes Alltagsproblem. In diesem Sinne wünsche ich allen ganz viele schöne Glücksmomente.



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