Zehn Tage allein in der Stille.
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Eines meiner Abenteuer, aus der Zeit, als ich als freier Künstlerin auf den Kanarischen Inseln lebte.

Zehn Tage allein in der Stille.

Auf dem Weg nach Chio.
Es war während der Zeit, dass ich als freie Künstlerin auf Teneriffa unterwegs war. In einem Zeitraum von zweieinhalb Jahren wohnte, hauste, oder übernachtete ich an siebenundzwanzig verschiedenen Orten. Ohne Geld, aber mit einer Buskarte im Wert von 30€, geschenkt von einem finnischen Freund/Soulmate, hatte ich mich auf den Weg gemacht, dieses Mal nach Chio, im Süden von der Insel. Wie ich im Dorf ankam, war es schon dunkel und ich wusste nicht genau, wo die Finca lag, wo ich hinwollte. Aber die Menschen auf der Insel sind sehr hilfsbereit, sodass ich zuversichtlich den Supermarkt des Dorfes aufsuchte. Ein Supermarkt ist hier so etwas wie ein sozialer Treffpunkt, sowie Ersatz für die Lokalzeitung. Bald fand ich dort zwei señoras, Mutter und Tochter, die offensichtlich verwand waren mit der dueño (Eigentümer) der Finca. Hier ist jeder irgendwie mit jedem verwandt.



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Abenteuerlich.
Die beiden Damen waren sofort bereit, mich zu begleiten. Der Weg zur Finca war recht abenteuerlich und gefährlich im Dunkeln. Sie holten eine Taschenlampe, nahmen mir zwei Taschen ab und liefen vor mir her. Einmal angekommen, verabschiedeten sie sich und wünschten mir viel Glück. Ich war froh dort ein paar Kerzen zu finden, denn es gab weder Gas noch Strom. Aber ich hatte fliessendes Wasser, nur kaltes. Zum Essen oder Kaffee kochen, musste ich draussen Feuer machen. Es war also wichtig, tagtäglich Holz zu sammeln, was zum Glück in Hülle und Fülle zu finden war.  Morgens beim aufstehen Kaffee machen zu können, ohne zuvor brennbares Material suchen zu müssen, ist eine Form von Luxus. Die ersten drei Tage lebte ich davon was ich in der Küche fand, Makkaroni und Spaghetti mit Tomatensauce. Die nächsten drei Tage ass ich Brot, was von Tag zu Tag trockener wurde. Es musste eindeutig etwas passieren, denn ich hatte keine Ahnung, wie lange dieses Abenteuer noch dauern würde.

Eine silberne Kette.
Das einzigst Wertvolle was ich besass, war eine silberne Halskette mit einem Mondstein verarbeitet in einer silbernen Borte. Ein Geburtstagsgeschenk von einem Freund aus Indien, welcher ein Geschäft auf der Insel hatte. Ich wollte wissen, wo ich diese Kette verkaufen könnte und logischerweise fragte ich erst im Supermarkt nach. Die Leute schauten mich ein wenig seltsam an, und ich bekam den guten Rat, wenn ich Geld bräuchte, mich beim Sozialamt zu melden. Ich machte mich weiter auf die Suche, bis ein nettes Mädchen, was bei der Post arbeitete, mir erzählte das ein Laden im nächsten Städtchen, mit Sicherheit Schmuck ankaufte. Es war jetzt zu spät, um noch mit dem Bus hinzufahren und vor Einbruch der Dunkelheit wieder zu Hause zu sein.

Warten.
Am nächsten Tag machte ich mich auf den Weg, mein Magen knurrte. Die Lagartos oder Geckos hatten die Nacht mein letztes Stück trockenes Brot gegessen. Selber schuld, ich hätte es besser verstecken sollen. Es dauerte ewig, bevor einen Bus kam. Gerade als ich zu zweifeln begann, wurde meine Geduld zum Glück belohnt. Bald war ich in dem Städtchen angekommen und fand auch schon schnell den Laden. Die Inhaberin war noch nicht da und das Mädchen was im Geschäft angestellt war, konnte nicht entscheiden über irgendwelche Einkäufe. Also musste ich warten. In der Nähe stand eine Holzbank, dort setzte ich mich in die Sonne. Eine Flasche mit Wasser habe ich zum Glück immer dabei. Es wurde später und später. Das Geschäft machte am Nachmittag zu und wurde nach zwei Stunden wieder geöffnet. Hier macht man nun mal Siesta. Meine letzten zwei Zigaretten hatte ich schon lange geraucht und ich sehnte mich nach eine Tasse Kaffee. So gegen fünf Uhr am Nachmittag, betrat die Besitzerin schliesslich den Laden, ich gleich hinterher.

Tränen in meinen Augen.
Ich legte meine Kette auf den Tresen und fragte, ob sie daran interessiert wäre, sie zu kaufen. Sie antwortete entschlossen mit nein und erklärte mir, dass die Leute auf der Insel diese Steine nicht besonders mögen. Tränen traten mir in die Augen und ich erklärte ihr, dass ich seit drei Tagen fast nichts mehr gegessen hatte und ich wollte doch nur 20 Euro. Sie griff nach der Kette, gab mir meine 20 Euro und kam hinter den Tresen her um mich zu umarmen. Ich fühlte mich wie ein kleines Kind. Als sie mich in ihren Armen hielt, sagte sie, shhh nina, no llura (ssst Mädchen, weine nicht). Sie verschwand kurz in eine kleine Küche, um Kaffee für mich zu machen und schickte eine Frau, die auch gerade im Laden war, zu ein Supermarkt in der Nähe. Ein wenig später kam diese Dame zurück mit einer Plastiktüte mit zwei leckeren frischen Brötchen, einer Packung Schinken, Käse und eine grosse Flasche Fruchtsaft. Alles für mich. Wieder bekam ich Tränen in den Augen, gerührt durch soviel Menschlichkeit und liebe. Aber jetzt hatte ich es wirklich eilig. Ich schnellte zur Bushaltestelle, denn es wurde bald dunkel. Überglücklich knabberte ich aus meiner Plastiktüte vom Brot und Käse während des Wartens auf den Bus. Wie ein einfaches Brötchen himmlisch schmecken kann. Viele Menschen kennen dieses Gefühl nicht mehr dachte ich, und ich musste über mich selbst lachen. Ich bin und bleibe nun mal eine Optimistin, unter allen Bedingungen.

Sogar der Schinken schmeckte.
Zu Hause angekommen, hat mir sogar der Schinken geschmeckt, obwohl ich seit 5 Jahren keine Fleisch-und Wurstwaren mehr zu mir nahm. An dem Abend genoss ich die Stille anders, die hier herrschte. Kein Radio, kein TV, nur das sanfte Klingeln von Bambus Windspiel neben der Tür. Ich machte ein gemütliches Feuer im Kamin, nahm ein paar Kerzen und begann meine Gedanken aufzuschreiben, die ich später meinem Sohn übergab.

Egal, was passiert.
Am Wochenende bekam ich Besuch von meinem kanarischen Ex-Freund. Er brachte etwas Leckeres zu essen und eine Flasche Wein mit. Wir hatten einen tollen Tag zusammen. Er liebte es, auf der Finca in der Natur zu sein. Es ist dort auch sehr schön, wenn man nicht hungern muss. An einem klaren Tag kann man die Insel La Gomera sehen, eine unbeschreibliche Aussicht. Als er nach Hause fuhr, gab er mir 20€, sodass ich nicht noch einmal in die gleiche Situation kommen würde. Am nächsten Tag bekam ich spät abends ein Anruf von mein Freund den die Finca gehört. Er sagte, dass ich am nächsten morgen unbedingt zurück kommen musste nach Puerto de la Cruz. Er hatte etwas sehr gutes für uns organisiert. Ich fragte ihn, worum es ging. Er sagte nur: "Du wirst sehen, wenn du wieder hier bist, aber komm bald." Ich war froh, in die Zivilisation zurückzukehren. Zehn Tage des Schweigens waren wirklich genug für mich. Viele Erkenntnisse wurden mir während dieser Zeit gegeben. Einige davon hatte ich für mein Sohn aufgeschrieben: ' Was auch mit dir passiert, am Ende passiert dir gar nichts. Du bist schliesslich immer noch die gleiche Seele, nur um einiges reicher an Erfahrung. Und deswegen sind wir ja auf die Erde gekommen, um aus unseren Erfahrungen zu lernen. So entwickeln wir uns seelisch weiter. Sachen sind wichtig, wenn wir sie wichtig machen. Es hängt alles nur ab von unseren Perspektiven und Reaktionen auf das Leben.' Wie ich ihm später meine Gedanken übergab, sagte er: ´Danke mam, wieder etwas für meine Schatztruhe.´ Mit Pack und Sack machte ich mich am nächsten Morgen auf den Weg,  neugierig auf meine nächste Abenteuern.




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